In der Hirzenhainer Schulchronik vom März 1932 ist vom damaligen Lehrer Lückhoff der folgende Text handschriftlich vermerkt:
Der 1. Segelflugwettbewerb in Hirzenhain
vom 27.3. bis 3.4.1932
Seit Wochen rüsten wir zum 1. Segelflugwettbewerb in Hirzenhain. Das Schulhaus entfaltet eine nimmermüde, emsige Tätigkeit. Unser neuer Kollege entfaltet außer seiner dienstlichen Tätigkeit in der Schule auch eine ebensolche im " Maschinen-Schreiben" für die Vorbereitung der Wettbewerbsorganisation. Oben im dritten Stock bei Schäfers ist das Büro eingerichtet und tagtäglich bringt der Briefträger Anfragen und Anmeldungen. Unaufhörlich rattert die Maschine, die umfangreiche Druckschriften, Listen usw. fertig zu stellen, damit alles rechtzeitig in Händen der interessierten Vereine ist, die scheinbar in stattlicher Anzahl und mit zahlreichen Maschinen hier einschwirren werden.
Eine vielseitige Werbetätigkeit hat die Veranstaltung auf breiter Basis vorbereitet und eine bis ins Kleinste durchdachte Organisation ist der Garant für eine einwandfreie erfolgreiche Durchführung. In jeder Woche haben die einzelnen Ausschüsse unter Führung der Oberleitung getagt, so daß an alles gedacht ist. Die heimischen Zeitungen haben sich in dankenswerter Weise in den Dienst der Sache gestellt und selbst die größte und führende Illustrierte der Welt, die "Berliner Illustrierte", hat in ihrer Aprilausgabe dem deutschen Fliegerdorf eine gebührende Würdigung mit entsprechender Bebilderung widerfahren lassen.
Unter den Teilnehmern des Wettbewerbs findet man außer den heimischen bekannten Fliegern den in diesem Buch schon genannten Ferdinand Freusberg mit seinem "Professor ", die Gruppen von Wetzlar, Limburg, Bonn und Lüdenscheid. Möge den kühnen Fliegern ein voller Erfolg beschieden sein, damit unser Dorf auch durch diesen Wettbewerb bekannt und die Übungsstätte der westdeutschen Fliegerei werde.
Hirzenhain, im Lenzmonat 1932 Lückhoff
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(Original-Ansicht der Schulchronik-Seite 187 vom März 1932 als pdf, Datei-Größe: 365 kB)
Die Berliner Illustrierte schrieb in Ihrer April-Ausgabe 1932:
Im Fliegerdörfchen Hirzenhain
Im Naussauischen liegt, an die letzten südlichen Ausläufer des Rothaargebirges geschmiegt, abseits der großen Heerstraße der Wanderer und Ausflügler, das Dorf Hirzenhain. Von seinen knapp tausend Einwohnern sind viele arbeitslose Bergleute und Steinbrucharbeiter. Und doch nennt sein Luftfahrt-Verein zwei Flugplätze, drei große Flugzeugschuppen und sieben Segelflugzeuge sein eigen. Das ganze Dorf lebt einer Leidenschaft, widmet jeden Augenblick seiner freien Zeit dem Segelflug. Und wie man in dem bekannten märkischen Schachdorf schon die Schulkinder mit dem Spiel vertraut macht, so werden in Hirzenhain die Jüngsten und Allerjüngsten bereits von ihren Lehrern und dem Pfarrer des Dorfes zu Fliegern und Flugzeugbauern herangebildet.
Der Modellbau gehört zu den Schulfächern, von allen Höhen rings um das Dorf lassen die Hirzenhainer Buben und Mädels ihre kunstvollen Modelle fliegen. Die jungen Buschen und Männer basteln und bauen in heller Werkstatt an richtigen großen Maschinen und erproben sie selbst an den tiefabfallenden Hängen des Schelde- und Nanzbachtals. Kaum einer , der nicht das Abzeichen der deutschen Segelflieger im Knopfloch trägt. Klein hat man in Hirzenhain angefangen. Man hatte von den Segelflügen in der Rhön gelesen und machte sich unbeschwert von Vorkenntnissen an den Bau eines eigenen Flugzeuges. Massives Holz, Eisen und Pappe wurden verarbeitet, in einer alten Scheune erfror man sich die Knochen, schnitt sich die Finger wund, klopfte sich die Nägel blau. Heute aber ist jeder im Dorf ein Fachmann, der mit Sperrholz, Stahldraht, Kaltleim und Spannschlösser genau so umzugehen versteht wie mit der Spitzhacke und dem Bohrer. Nichts ist an den Flugzeugen mehr auszusetzen.
Aus einer Spielerei ist ein Sport geworden, noch nicht verdorben durch Rekord- und Preisjägerei. In Hirzenhain sind Flugtage immer ein Volksfest, oft auch eine richtige Familienangelegenheit, denn drei bis vier Brüder bilden mitunter ihre eigene Fluggemeinschaft, die zu Hause gemeinsam gespart und geschafft hat. Die Fliegerei ist der Anfang und das Ende fast jedes Stammtischgespräches. Hier muß der Vater Rede und Antwort über die Fortschritte seiner Söhne stehen. In den Ostertagen haben die Hirzenhainer Jungflieger einen Wettbewerb mit auswärtigen Segelfliegern erfolgreich bestanden. Hirzenhain ist ein vollwertiges Segelfluggelände geworden.
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(Original-Ansicht der Berliner Illustrierten Teil 1 (Vorspann) als pdf (321 kB))
(Original-Ansicht der Berliner Illustrierten Teil 2 als pdf (443 kB))
Die Hirzenhainer Schulchronik berichtet am 15. April 1932:
Das Ergebnis des Wettbewerbs
Der 1. Teil des "Rennens" war von ungünstigen Winden beeinflusst und es konnten keine großen Flüge stattfinden, da der ersehnte Westwind fehlte. Um so fleißiger wurde auf Minutenflüge geschult. Aber die Not macht ja immer erfinderisch und so auch hier. Ein ganz neues Gelände ist erschlossen worden, ein Hang, der bis dahin noch nicht entdeckt war. Vom Wasserwerk aus startete Ferdinand Freusberg, flog über das Lixfelder Tal hinüber und flog am hinteren Hornberg (auf Lixfelder Gemarkung) fast eine Stunde lang. Eine beachtliche Leistung.
Was taten die anderen? Flugs ging's hinüber (das heißt nicht im Fluge, sondern per Transport), ein neuer Startplatz war gefunden und bald ertönten auch hier die Kommandos: "Ausziehen, Laufen, Los!". Wenn auch hinsichtlich großer Leistungen dieser 1. Wettbewerb nichts Außergewöhnliches gebracht hat, so hat er doch ein neues Gelände erschlossen, und bereits den Beweis erbracht, dass man hier bei jeglichem Winde fliegen kann. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß sich während des ganzen Wettbewerbs kein Unfall zugetragen hat und daß alle Flieger voll befriedigt wieder abgezogen sind.
Als Preisträger seien hervorgehoben:
1. Ferdinand Freusberg, Düsseldorf
2. Gruppe Wetzlar
3. Walter Schneider, Hirzenhain.
Ferner wurde noch einigen Gruppen kostenlose Ausbildung von Jungfliegern als Preise zuerkannt.
Hirzenhain, den 15. April 1932 Lückhoff
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(Original-Ansicht der Schulchronik-Seite 189 vom 15. April 1932 als pdf, Datei-Größe: 573 kB)
Die Frankfurter Nachrichten schrieben dazu in Ihrer Ausgabe vom 3.4.1932:
Nachwuchs im Flugsport.
Der Segelflug-Wettbewerb in Hirzenhain.
Bei mäßigem bis starkem Südostwind brachten die Teilnehmergruppen am ersten Tag des Wettbewerbs ihre Flugzeuge zum Osthang, der für diesen Tag von der Sportleitung zum Startplatz bestimmt worden war. Die Gruppen Wetzlar, Limburg, Lüdenscheid, Bonn und Hirzenhain starteten neununddreißigmal in eifriger Folge. Eine "C-Prüfung" (Kittner vom Wetzlarer Verein für Luftfahrt) und eine "B-Prüfung" (Weber vom Niederrheinischen Verein für Luftschiffahrt Bonn) sind als besondere Leistungen hervorzuheben.
Der zweite Tag brachte trübes, regnerisches Wetter mit wenig Wind. Trotzdem brachten die Gruppen Bonn und Wetzlar ihre Maschinen wieder zum Start. Selbst Freusberg, dessen Flugzeug auf dem Transport beschädigt worden war, stand wieder startbereit mit seinem "Professor" am Südhang. Besondere Leistungen konnten allerdings nicht erzielt werden, denn der Wind war doch gar zu schwach.
Am Morgen des dritten Wettbewerbtages lag starker Nebel über dem Fliegerdorf. Doch die Hoffnungen im Fliegerlager stiegen, als gegen Mittag ein leichter Nordwest wehte und die Nebelschwaden sich verzogen. Unaufhörlich rieselte der Regen herab, und gutes Flugwetter gab es nicht mehr. Durch Gleitflüge vom hohen Nordwesthang zum tiefen Tal versuchten auch hier die fremden Gruppen, das Gelände abzutasten, ist doch gerade der Nordwesthang Hirzenhains das idealste Segelfluggelände ganz Westdeutschlands.
Der vierte Wettbewerbstag brachte scharfen Südwind. Schon früh war im Lager alles auf den Beinen. Acht Meter Wind wurden gemessen. Schon um 10 Uhr startete Freusberg am Osthang, überhöhte trotz böiger Winde den Startplatz, überflog das Lixfelder Tal, um am Südhang weiterzusegeln. Nach 17 Min. landete er am Südhang. Ruhepausen gab es bei gutem Flugwetter für einen Segelflieger nicht. Nach kurzer Zeit schwebte Freusbergs "Biene" wieder hoch in den Lüften, um diesmal erst nach 43 Min. zu landen. Der längste Segelflug am Südhang.
Inzwischen hatte sich auch der Hirzenhainer "Hols der Teufel" in die Lüfte erhoben, und beide Flugzeuge kreisten in weiten Schleifen. Ein herrlicher Anblick für die Zuschauer, die sich nun auch am Südhang eingefunden hatten.
Auch die Wetzlarer nahmen mit ihrem Flugzeug den Kampf gegen Freusberg auf. Als Erster startete Bauer vom Wetzlarer VfL, um nach 22 Minuten 50 Sek. zu landen und damit die Bedingungen der C-Prüfung erfüllt zu haben.
Nun folgte Start auf Start am Südhang. Nicht selten waren mehrere Flugzeuge zu gleicher Zeit in der Luft. Der Wetzlarer Pilot Wiegmeyer erzielte 47 Min. Flugdauer, überbot damit den Rekord Freusbergs am Südhang und bestand seine C-Prüfung. Wirklich ein schöner Erfolg. Unermüdlich wurde nun bis in die Abendstunden geflogen. Freusberg startete noch einmal zu einem halbstündigen Flug, nach dem er bei fast völliger Dunkelheit landete.
Der Wettbewerb geht heute Nachmittag 6 Uhr zu Ende. Nachdem zu Beginn des Wettbewerbs an den beiden Ostertagen die Windverhältnisse in Hirzenhain für die Segelfliegerei nicht allzu günstig waren, so dass erst Mitte der Woche Größeres geleistet werden konnte, ist bestimmt damit zu rechnen, dass die Fliegergruppen bis zur letzten Minute versuchen werden, das einzuholen, was sie durch ungünstige Windverhältnisse zu Beginn des Wettbewerbs versäumten. Wenn nicht alles trügt, ist der West- oder Nordwestwind zu erwarten, der für die Segelfliegerei in Hirzenhain günstigste Wind. Damit würden die Wettkämpfe auf den großen Hang gelegt werden können.
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(Original-Ansicht der Frankfurter Nachrichten als pdf (576 kB))
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