Max Kegel, Kassel - der erste Segelflieger Hirzenhains
Auf Anraten verschiedener einflußreicher Persönlichkeiten des Kreises hatte der hiesige Verein der Segelfliegerei Verhandlungen geführt mit Herrn Max Kegel, Kassel, um die Ausführung eines größeren beziehungsweise längeren Segelfluges über den hiesigen Bergeshöhen. Man wollte damit einesteils den Nachweis bringen, daß sich das Gelände in und um Hirzenhain, vor allen Dingen aber an der langen Kette unseres Randgebirges des Dietzhölztales, gut zum Segelfliegen eigne, anderenteils aber auch eine Werbeaktion damit verbinden, die dem kleinen und jungen Verein neue Mitglieder zuführen sollte, woraus man sich dann eine bessere Fundierung finanzieller Art versprach.
Max Kegel kam! Am Gründonnerstag kam er mit seinem kleinen Dixi-Auto angefahren, hatte einen 2rädrigen Anhängerwagen und darauf seine wunderbare stolze Segelmaschine verpackt! Es regnete in Strömen und die Wolken hingen mit ihren Schwänzen bis zur Erde herab, sodaß es aussichtslos erschien, in den nächsten Tagen zu fliegen!
So reiste Herr Kegel wieder ab, ließ aber seinen stolzen Vogel in einem hiesigen Dorfschuppen stehen und versprach, bei günstigem Wetter wiederzukommen.
Die Osterferien gingen zu Ende und das neue Schuljahr begann! Herr Kollege Schäfer prüfte täglich fleißig den Wind, schickte manches heiße Wunschgebet zum Himmel und kam endlich freudestrahlend angelaufen: "Feiner Nordwest, sauber - mindestens 5 - 6 sek.-mtr!" Telegramm nach Kassel, Telefongespräche in großer Anzahl, wie sie hier auf der Poststelle noch nie in solchem Ausmaße geführt wurden und - am 18. April nachmittags 4 Uhr war Max Kegel wieder da!
Noch am selben Abend und am frühen Morgen des 19. wurde mit großer Befriedigung auch von dem kühnen Flieger festgestellt, daß es der Wind sehr ordentlich meinte und die Vorbereitungen wurden getroffen. Mit Leichtigkeit fuhr er mittels seines kleinen Autos die Maschine an die Schutzhecke, kraxelte die noch weichen Feldwege hinan und fing an zu montieren! Aber welche Tücke des Wetters! Der Winter, der sich scheinbar ausgerechnet an diesem Tage in die rauhen Berge zurückzog, sandte von dorther ganz gehörige Schauer "körnigen" und "flockigen " Eises über die schon grünenden Fluren! Kalte Finger und kalte Füße gab es, aber nichts hielt die ungeheure Menschenmenge ab, die das große Schauspiel miterleben wollten, und sie hielten aus bis zum Nachmittag gegen 4 Uhr, als die Sonne vom klaren Himmel lachte, der Wind noch in die vollen Backen blies und die 16 bis 20 Startleute (alles Ortsbürger, alte und junge) sich anschickten, den stolzen Vogel mit seinem Führer in die Luft zu schicken! Eine feierliche Stille herrschte, eine Andacht unter den Zuschauern, wie sie selten in der Kirche besser sein kann, die Weiberleute hielten den Atem an, als endlich mit energischer Soldatenstimme der Kommandoruf ertönte:
" Fertig - ausziehen - laufen - loosss !!"
Wie von einem Pfeil in die Luft geschossen erhob sich das wundersame Vogelgebilde in die Lüfte, drehte gleich eine Kurve nach rechts, gewann Höhe und immer noch größere Höhe, glitt hinüber in geräuschlosem Fluge bis zum Hornberg, drehte links um und kam zurück über die staunende, jubelnde Schar! So kurvte er mehrmals die große Runde bis zum Hornberg einhaltend, hin und her! Dann kam ein ungeheurer Schneeschauer! Man sah noch, wie der gewandte Flieger über dem Hornberg schwankte, zur Erde sich neigte, um nach 21 Minuten langem Flug in der Nähe des " Hessen-Loh" zu landen! Alles lief trotz Schneewehen dorthin, um den kühnen Segelflieger zu beglückwünschen.
Seine Maschine wurde im Gegenzug von starken Händen nach Hause getragen, untergestellt, vom Schnee gereinigt und getrocknet. Am nächsten Tage sollte ein 2. Flug gezeigt werden! Aber das Wetter war zu schlecht, erst am Nachmittag klärte es sich auf, dann war aber kein starker Wind da und es gab nur einen 3 Minuten dauernden Flug hinab ins Tal bis in die Simmersbacher Wiesen!
Leider blieben auch in den folgenden Tagen die Luftbewegung so schwach, daß an einen größeren Flug nicht gedacht werden konnte! Der Urlaub des Hr. Kegel war auch abgelaufen und er reiste ab; aber - ohne Maschine! Diese blieb hier! So wuchs dann wiederum Hoffnung und Freude auf eine günstigere Gelegenheit!
Hirzenhain, den 25.4.28 Lückhoff
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